Antibiotika: Profit und nachhaltige Nutzung in Einklang bringen

Für neue Antibiotika sollen Firmen belohnt werden. Aber nur, wenn keine Resistenzen gegen ein Medikament auftreten – zumindest für eine gewisse Zeit.

Belohnt man die langfristige Wirksamkeit von Antibiotika, kann das Profitstreben von Pharmaunternehmen mit einem nachhaltigen Einsatz von Antibiotika in Einklang gebracht werden: Die Idee von Forschenden der Universität Genf und ihrer schwedischen und kanadischen Kollegen ist überzeugend einfach. Im Gegensatz zur wirtschaftlichen Realität in der Antibiotikaentwicklung. Denn Antibiotika sind im Vergleich zu anderen Medikamenten billig, aber ihre Entwicklung kostet gleich viel, wenn nicht sogar mehr.

Deshalb überlegen sich Regierungen in aller Welt, ihre Entwicklung mit grossen finanziellen Anreizen zu fördern, etwa durch Belohnungen für den Markteintritt neuer Antibiotika. "Gleichzeitig müssen wir aber deren Einsatz einschränken, damit nicht zu schnell Antibiotikaresistenzen entstehen", sagt Chantal Morel, Gesundheitsökonomin an der Universität Genf, "und das wiederum schmälert die Gewinnaussichten".

Ein guter Leistungsausweis erhöht die Belohnung

Um diesen Widerspruch aufzulösen, schlagen Morel und ihre Kollegen vor, allfällige Belohnungen mit einer Leistungskomponente ("performance component") zu koppeln. Beispielsweise bei den von der AMR review group der britischen Regierung vorgeschlagenen 1,6 Milliarden Dollar für den Markteintritt eines neuen Antibiotikums. Mit einer Leistungskomponente könnte diese Summe aufgeteilt werden: Ein Unternehmen würde zum Zeitpunkt der Marktzulassung einen festen Betrag von 1 Milliarde Dollar erhalten, mit bedingten zusätzlichen Zahlungen nach 5, 10, 15 und 20 Jahren, je nachdem, ob das Produkt seine Wirksamkeit beibehält oder aufgrund von Resistenzen zunehmend verliert.

Dieser Ansatz würde die Rentabilität eines neuen Antibiotikums (zumindest teilweise) von der verkauften Menge entkoppeln. Was mehrere Vorteile brächte, wie Morel erklärt: "Die Unternehmen erhielten einen Anreiz, den Verkauf von Antibiotika weniger aggressiv zu fördern, weil sie einen übermässigen Einsatz vermeiden wollten. Zweitens würden sie bereits in frühen Stadien der Entwicklung stärker auf echte Innovation setzen, nämlich indem sie jene Wirkstoffkandidaten bevorzugten, welche langfristigere Wirksamkeit versprechen".

Es ist an der Zeit, die Details festzulegen

Obwohl schon seit mehreren Jahren über Belohnungen für den Markteintritt diskutiert wird – ob mit oder ohne Leistungskomponente – , gibt es dafür bisher noch keine verbindlichen Zusagen von Regierungen. Und das macht es wiederum sehr schwierig, Unternehmen dafür zu gewinnen, solche Programme zu unterstützen. Dies erfährt Chantal Morel in Gesprächen mit Firmenvertretern jeweils deutlich. "Solange mögliche Belohnungen diffus bleiben, werden sich private Unternehmen nicht danach ausrichten", sagt sie. Und obwohl eine Leistungskomponente für viele Firmen durchaus interessant wäre, müssen auch ihre Mechanismen erst genau definiert werden. Daran arbeiten Chantal Morel und ihre Kollegen derzeit. Sie wollen zwei Schlüsselaspekte klären: Wie hoch setzt man den Bonus? Wie misst man die Wirksamkeit eines Medikaments über die Zeit?

Wie hoch genau?

"Damit Unternehmen aufspringen, muss der Bonus den Gewinnverlust übersteigen, der durch die Einschränkung des Gebrauchs neuer Antibiotika entsteht", so Morel. "Gleichzeitig muss die ausgeschriebene Belohnung aber auch für die Steuerzahler oder andere Geldgeber im Rahmen des Akzeptablen liegen". Die Forschenden versuchen all diese Interessen unter einen Hut zu bringen. Sie stehen dazu in engem Austausch mit politischen Entscheidungsträgern und Industrievertretern, hauptsächlich aus europäischen Ländern.

Es wird dabei auch diskutiert, wie man verhindern kann, dass Unternehmen in bestimmten Ländern überhaupt keine Medikamente verkaufen, nur um sich den Bonus zu sichern. Eine Möglichkeit, dem entgegenzuwirken, besteht etwa darin, Kriterien für qualifizierte Käufer festzulegen. Firmen, die den Bonus wollen, verpflichten sich dazu, diese Käufer zu bedienen. "Die Nachfrage würde also durch berechtigten Bedarf ausgelöst, und nicht von Werbeaktivitäten der Firmen gesteuert", sagt Morel.

Die Wirksamkeit von Medikamenten messen

Das Herzstück des vorgeschlagenen Mechanismus ist die Wirksamkeit eines Medikaments über die Zeit hinweg. Definiert wird die Wirksamkeit durch die Menge einer Substanz, die es braucht, um die anvisierten Krankheitserreger im Körper von Patienten zu töten. Doch gegenwärtig werden Daten hierzu für neue Antibiotika nicht routinemässig erhoben. Vielmehr konzentriert sich die Überwachung von Antibiotikaresistenzen auf wenige Keime und eine begrenzte Anzahl älterer Antibiotika – und erfasst vor allem die Situation in wohlhabenden Industriestaaten.

Doch neue Überwachungsmethoden werden derzeit entwickelt. Sie dürften in Zukunft ein genaueres, umfassenderes und aktuelleres Bild der Situation zeigen. Selbst dann jedoch müssen sich alle beteiligten Parteien zunächst auf exakte Schwellenwerte einigen, die festlegen, wann ein Medikament als insgesamt wirksam oder unwirksam anerkannt wird.

Wer macht den ersten Schritt? Pioniere willkommen

Chantal Morel und ihr Team können aufzeigen, wie das System funktionieren würde, was es braucht – und dass es eine Win-win-Situation für alle wäre. Aber etablieren können es nur die involvierten Akteure, in Zusammenarbeit zwischen Regierungen, Unternehmen und Wissenschaftlern. Im Idealfall würden die vorgeschlagenen Belohnungen und Leistungskomponenten auf internationaler Basis organisiert, sagt Chantal Morel. Aber wie so oft liegt es an einzelnen Ländern, den ersten Schritt zu tun. Grossbritannien und Schweden sind aktuell herausragende Beispiele, die ernsthaft über neue Programme zur Wiederbelebung der Antibiotikaentwicklung diskutieren. Aber für Morel ist klar, dass hier auch die Schweiz eine führende Rolle übernehmen sollte: "Die Schweiz verfügt über die notwendigen Ressourcen und eine starke forschungsbasierte Industrie. Sie ist in einer idealen Position, um auf diesem Gebiet Pionierarbeit zu leisten".