"Wissen alleine genügt nicht für eine Verhaltensänderung"

Psychologin Vivianne Visschers

Psychologin Vivianne Visschers erklärt im Interview, was eine Öffentlichkeitskampagne zu Antibiotikaresistenzen bewirken kann und wo sie ansetzen sollte.

Im November fällt der Startschuss für eine neue Öffentlichkeitskampagne des BAG. Ihr Ziel: Die Bevölkerung für den sachgerechten Umgang mit Antibiotika und für Antibiotikaresistenzen sensibilisieren. Die Kampagne ist Teil der Nationalen Strategie Antibiotikaresistenzen (StAR), soll vier Jahre dauern und verfügt über ein Budget von mehr als sechs Millionen Franken.

Die Psychologin Vivianne Visschers von der Fachhochschule Nordwestschweiz erklärt im Interview, was eine solche Kampagne bewirken kann, wo sie ansetzen sollte und welche Fallstricke sie besser vermeidet. Vivianne Visschers hat im Auftrag des BAG eine Studie zur Wahrnehmung von Antibiotika und Antibiotikaresistenzen in der Schweizer Bevölkerung durchgeführt. An der Konzipierung der Kampagne war sie nicht beteiligt.

Die neue Kampagne des BAG hat die gesamte Bevölkerung als Zielgruppe. Frau Visschers, glauben Sie, dass eine solche breit angelegte Kampagne das richtige Mittel ist, die Menschen für die Problematik der Antibiotikaresistenz zu sensibilisieren?

Im Moment denke ich schon. Wir haben in unserer Studie bemerkt, dass einige Leute zwar wissen, dass es da irgendwie ein Problem gibt. Aber sie wissen nicht genau, wo das Problem liegt, dass sie auch selbst betroffen sind und was sie dagegen machen können. Es ist richtig, dass man so allgemein anfängt, um das Problembewusstsein in der Bevölkerung zu erhöhen und einen sorgfältigen Umgang mit Antibiotika zu fördern.

Ihre Studie hat gezeigt, dass es in der Bevölkerung sehr grosse Wissenslücken zu diesem Thema gibt. So glaubten fast 30% der Befragten, dass Antibiotika auch gegen Viren wirken. Etwa 75% gaben an, dass der menschliche Körper gegen Antibiotika resistent wird. Kann eine Kampagne mit einfachen Botschaften solche falschen Vorstellungen überhaupt korrigieren? Die zugrunde liegenden biologischen Vorgänge sind ja teilweise sehr komplex?

Ich habe mich das auch gefragt: Braucht es das ganze Wissen überhaupt, um das richtige Verhalten zu erreichen? Eigentlich ist nur wichtig, dass jemand weiss, dass Antibiotikaresistenz ein Problem ist, dass man sorgfältig mit Antibiotika umgehen muss und wie man das macht.

Aber führt besseres Wissen nicht zu einem besseren Verständnis und dadurch auch zu einem veränderten Verhalten?

Wissen alleine genügt nicht für eine Verhaltensänderung. Es ist nur eine von mehreren Komponenten, die eine Rolle spielen. Selbst wenn ich zum Beispiel weiss, dass ein hoher Antibiotikaverbrauch zu Resistenzen führt, kann es für mich wichtiger sein, dass ich die nächste Woche gesund bin. Dann nehme ich vielleicht Antibiotika, obwohl es auch noch andere Behandlungsmöglichkeiten gibt. Wenn das Priorität hat, kann man noch so viel Wissen vermitteln, es nützt trotzdem nichts.

Also sollte eine solche Kampagne die Menschen nicht nur auf der Ebene der Vernunft, sondern auch auf der emotionalen Ebene ansprechen?

Absolut. Noch wichtiger als Wissen ist, dass man den persönlichen Nutzen einsieht. Wenn zum Beispiel ein wichtiger Anlass bevorsteht und ich unbedingt gesund sein will, nehme ich vielleicht sicherheitshalber sofort Antibiotika. Aber wenn ich verstehe, dass ein sorgfältiger Umgang mit Antibiotika dafür sorgt, dass meine Kinder auch in einigen Jahren noch Antibiotika nutzen können, wenn sie eine schlimme Lungenentzündung haben, dann entscheide ich mich möglicherweise anders.

Wenn eine Kampagne die persönliche Betroffenheit betont, besteht dann nicht die Gefahr, dass dies eine Panik auslöst, weil die Leute denken: "Bald gibt es keine Antibiotika mehr und ich kann dann bei der nächsten Infektion einfach sterben!"?

Gesundheitspsychologische Studien haben gezeigt, dass Angstverbreitung durch Kampagnen meistens gerade den umgekehrten Effekt hat. Die Leute ziehen sich zurück und sagen "Das betrifft mich nicht, Punkt." Was eher funktioniert, ist ein wenig negative Emotionen auszulösen, dann aber auch gleichzeitig positive Lösungswege aufzeigen. Wenn eine Werbeagentur eine solche Kampagne entwickelt, dann wird diese aber wohl eher auf das Auslösen positiver Emotionen abzielen.

Ihre Analyse zeigt auch, dass sich die ganze Bevölkerung nicht über einen Kamm scheren lässt, sondern dass es verschiedene Untergruppen gibt, die Sie beispielsweise die "Sachkundigen Undifferenzierten" und die "Jungen Unwilligen" genannt haben.

Ja, bei einigen muss beispielsweise zuerst einmal das Bewusstsein zu einem sorgfältigen Umgang mit Antibiotika noch geschaffen und das Wissen erhöht werden. Bei anderen ist das Bewusstsein schon da - ihnen muss eher gezeigt werden, was sie konkret machen können.

Kann eine breit angelegte Kampagne überhaupt alle diese verschiedenen Bedürfnisse abdecken oder würden Sie eher empfehlen, spezifische Botschaften auf jede Gruppe zuzuschneiden?

Man könnte diese Gruppen gezielt ansprechen, das wäre letztlich effektiver. Vielleicht nicht von Beginn weg, aber nach einem Jahr könnte man schauen: Welche Gruppen haben wir jetzt schon überzeugt? Gibt es Kanäle, die wir nutzen können, um eine dieser Gruppen gezielter anzusprechen, zum Beispiel die "Jungen Unwilligen" über die Schule?

Ist der Beitrag, den eine Privatperson zur Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen leisten kann, nicht sowieso eher klein, im Vergleich zu dem, was Ärztinnen, Tierärzte und Spitalpersonal bewirken können? Wären solche Fachpersonen nicht die geeignetere Zielgruppe für eine Kampagne?

Die Spitäler sagen, sie machen bereits sehr viel, sie können fast nicht noch mehr machen. Auch die Ärzte sagen, dass sie sehr sorgfältig verschreiben. Aber natürlich bestimmen auch wir Konsumenten als Patienten die Nachfrage nach Antibiotika. Hier in der Schweiz haben Patienten die Möglichkeit, aktiv über ihre Therapie oder die Therapie ihrer Kinder und Haustiere mitzubestimmen. Alle müssen sich selber fragen: Brauche ich jetzt wirklich ein Antibiotikum, oder kann ich das auch anders machen?

Das BAG wird den Erfolg der Kampagne evaluieren. Wie kann man so etwas messen?

Man könnte beispielsweise einer Stichprobe der Schweizer Bevölkerung nach ein bis zwei Jahren die gleichen Fragen stellen, wie wir es in unserer Umfrage getan haben. Dann könnte man schauen, ob sich etwas getan hat. Hat sich die Einstellung gegenüber Antibiotika verändert? Hat sich das Wissen verbessert?

Im Rahmen des NFP 72 testen Sie in einer Studie Interventionsansätze, die Konsumentinnen und Konsumenten für einen sicheren Umgang mit Haustieren und mit Esswaren sensibilisieren sollen, so dass weniger Erreger übertragen werden. Das Projekt steht noch am Anfang. Gibt es dennoch erste Erkenntnisse?

Der Kontakt zwischen Mensch und Haustier ist ein Übertragungsweg, der bisher kaum angeschaut wurde. Wir haben nun als erstes in verschiedenen Personengruppen Interviews durchgeführt, zum Beispiel bei Haustierbesitzern. Damit wollten wir unter anderem herausfinden, wie nah der Kontakt zum Haustier ist und wie die Hygiene abläuft, wenn das Tier einmal krank ist. Uns interessierte ebenfalls, ob sich Besitzer bewusst sind, dass ihr Haustier möglicherweise antibiotikaresistente Bakterien übertragen kann. Auch bei der Zubereitung von Fleisch im Haushalt sehen wir ein Potential für Verhaltensänderungen. Jedes Jahr gibt es zwei Spitzen von Magen-Darm-Problemen, ausgelöst durch Lebensmittel: in der Grillsaison und in der Fonduesaison. Hier ist das Wissen zwar in bestimmtem Masse da, aber es wird im Alltag zu wenig umgesetzt.

Was sind die nächsten Schritte?

Wir werden die Ergebnisse der Interviews in einer schriftlichen Umfrage überprüfen. Dann probieren wir mögliche Interventionsansätze in kleinen Vortests aus und klären ab, welche am erfolgversprechendsten sind, um in einer grösseren Studie den Effekt einer Intervention über einen längeren Zeitraum hinweg zu beobachten.

Glauben Sie, dass der Antibiotikaverbrauch in der Schweiz dank der BAG-Kampagne und solcher Interventionen in einigen Jahren messbar niedriger sein wird?

Das ist schwer zu sagen, da der Verbrauch von Antibiotika von vielen Faktoren abhängt. Wenn es in einem Winter besonders viele schwere Erkältungskrankheiten gibt, dann kann der Antibiotikaverbrauch höher ausfallen. Ich bin mir aber sicher, dass viele Schweizerinnen und Schweizer in den kommenden Jahren tatsächlich wesentlich stärker für einen sorgfältigeren Umgang mit Antibiotika sensibilisiert sind.

Kurzbio Vivianne Visschers

Dr. Vivianne Visschers studierte kognitive Psychologie an der Universität Maastricht (NL) und schrieb ihre Doktorarbeit zum Thema Risikowahrnehmung und -kommunikation. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin an der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW befasst sie sich unter anderem mit Forschungsfragen in den Bereichen Entscheidungsfindung bei Konsumenten sowie Konsumverhalten und Nachhaltigkeit.