"Bei der Händehygiene gibt es noch viel Luft nach oben"
Die Corona-Pandemie könnte positive Nebeneffekte haben, weil sich Menschen besser vor Infektionen schützen. Interview mit Sarah Tschudin Sutter
Die Massnahmen, mit denen wir uns individuell vor Covid-19 schützen, reduzieren auch Übertragungen mit anderen Keimen. Könnten diese Verhaltensänderungen also die Verbreitung von antibiotikaresistenten Bakterien eindämmen? Sarah Tschudin Sutter, Leiterin der Abteilung für Spitalhygiene des Universitätsspitals Basel, schätzt mögliche Effekte ein.
Hände waschen, in die Armbeuge niesen, bei Fieber und Husten zu Hause bleiben, eine Maske tragen, keine Hände schütteln: Verhindern die persönlichen Schutzmassnahmen, wie wir sie mittlerweile alle durch die Corona-Kampagne des BAG kennen, auch Übertragungen mit antibiotikaresistenten Keimen?
Diese Verhaltensregeln senken ganz allgemein das Risiko, sich und andere mit Viren oder Bakterien anzustecken. Dies gilt auch für antibiotikaresistente Bakterien.
Könnte die Corona-Pandemie somit den positiven Nebeneffekt haben, dass die Verbreitung antibiotikaresistenter Keime zurückgeht?
Tatsächlich schützen sich seit einigen Monaten viele Menschen weltweit auf eine Weise vor Infektionskrankheiten, wie sie zuvor fast nur in Spitälern praktiziert wurde. Ob sich dies auf die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen auswirkt, können wir im Moment noch nicht beurteilen. Die grosse Frage ist ohnehin, ob sich das Verhalten der Bevölkerung längerfristig ändert.
Rechnen Sie nicht damit, dass die Corona-Pandemie das Bewusstsein für ähnliche Bedrohungen nachhaltig schärft? Das ist schon möglich. Doch ob es sich in konkreten Handlungen niederschlägt? So zeigt etwa eine Umfrage in der Schweizer Bevölkerung von 2018 ein relativ hohes Wissen um Antibiotikaresistenzen und deren Hintergründe. Trotzdem gibt es bei ganz einfachen persönlichen Schutzmassnahmen, etwa bei der Händehygiene, noch viel Luft nach oben. Die akute Bedrohung durch Covid-19 löst da mehr aus als die eher schleichende durch Antibiotikaresistenzen. Spannend ist in diesem Zusammenhang auch, wie sich die Corona-Pandemie auf das Impfverhalten auswirkt. Da könnte es in beide Richtungen gehen.
Wie meinen Sie das?
Sollte eine effektive und sichere Impfung die Corona-Pandemie entscheidend eindämmen, hätte das wohl sehr positive Folgen für das allgemeine Impfverhalten. Wird jedoch eine Impfung breit eingesetzt, bei der viele Nebenwirkungen auftreten und der Schutzeffekt moderat ist, dann könnte es für die allgemeine Impfbereitschaft kontraproduktiv sein.
Angenommen, viele Menschen verbessern ihr Schutzverhalten aufgrund der Corona-Pandemie langfristig: Wie gross ist das Potenzial im Hinblick auf die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen?
Es würde die Situation mit Sicherheit verbessern. Allerdings nur in Teilen. Denn die Problematik der Antibiotikaresistenzen ist vielschichtig. Einige Arten von resistenten Bakterien werden unter anderem in der breiten Bevölkerung, in alltäglichen Situationen, übertragen. Da können individuelle Verhaltensänderungen etwas bewirken. Bei anderen, darunter den resistentesten Erregern, findet die Übertragung vor allem in Spitälern statt. Da sind andere Massnahmen gefordert. Unklar schliesslich ist der indirekte Effekt, den eine Reduktion von Infektionskrankheiten im Allgemeinen haben könnte, indem sie nämlich gleichzeitig dazu führen würde, dass weniger Antibiotika eingesetzt werden.
Das müssen Sie erklären.
Die Resistenzproblematik wird in erster Linie durch den stetig zunehmenden Einsatz von Antibiotika angetrieben. Deshalb ist es wichtig, diese Medikamente sehr gezielt einzusetzen. Doch je mehr Menschen mit Antibiotika behandelt werden – sei es richtigerweise, weil sie tatsächlich eine bakterielle Infektion haben, sei es fälschlicherweise, weil sie bloss ähnliche Symptome zeigen – desto mehr wird die Zunahme der Antibiotikaresistenz gefördert.
Und je mehr Infektionen, desto mehr unsachgemässer Einsatz von Antibiotika?
Genau. Weil es oft sehr schwierig ist, etwa eine bakterielle und eine virale Infektion zu unterscheiden. Gerade beim Verdacht auf Infektionskrankheiten der Lunge werden Antibiotika oft verschrieben, ohne dass der Auslöser klar ist. Wenn sich die Menschen nun generell besser schützen, gibt es zum Beispiel auch weniger Grippefälle, weniger Patienten mit entsprechenden unklaren Symptomen der Atemwege suchen einen Arzt auf, weniger Antibiotika werden verschrieben. Tatsächlich hat sich zum Beispiel in Australien, wo der übliche Peak der Grippesaison bereits vorüber ist, dieses Jahr ein sehr deutlicher Rückgang der Grippefälle gezeigt.
Zwei für uns in der Schweiz neue und ungewohnte persönliche Schutzmassnahmen sind das Tragen einer Maske und die Begrüssung ohne Händeschütteln. Werden sie sich langfristig etablieren?
Es ist denkbar, dass sich gewisse Verhaltensänderungen langfristig etablieren werden – zumindest in gewissen Situationen. So etwa das Tragen von Masken in öffentlichen Verkehrsmitteln in der kälteren Jahreszeit, zum Schutz vor allen respiratorischen Viren. Oder der Verzicht auf das Händeschütteln in Spitälern.