Den Einsatz von Antibiotika in der Veterinärmedizin optimieren

Ein Online-Tool soll Tierärztinnen und Tierärzte unterstützen, Antibiotika gezielter einzusetzen – zum Beispiel bei Katzenschnupfen.

​Der Katze geht es schlecht: Die Nase läuft, die Augen sind verklebt, und das Atmen fällt ihr schwer. Die Tierärztin diagnostiziert einen Katzenschnupfen und muss nun entscheiden, ob sie ein Antibiotikum einsetzen will. Dabei gilt es viele Faktoren zu berücksichtigen, denn der Katzenschnupfen wird durch mehrere virale oder bakterielle Erreger ausgelöst und hat verschiedene Ausprägungen. So kuriert er sich manchmal in wenigen Tagen von selber aus, während in anderen Fällen eine Behandlung mit einem Antibiotikum notwendig ist.

"In der Schweiz gibt es über den Einsatz von Antibiotika in der Tiermedizin keine gesetzlichen Richtlinien, sondern nur Leitlinien", erklärt Hanspeter Nägeli, Direktor des Instituts für Veterinärpharmakologie und -toxikologie der Universität Zürich. Allerdings ist unklar, wie viele Tierärzte sich an diese unverbindlichen Empfehlungen halten. Deshalb haben die Tierärztinnen Claudia Lehner und Kira Schmitt von der Vetsuisse-Fakultät Bern und Zürich fast 200 Krankenakten von Katzenschnupfen-Patienten aus dem Jahr 2016 gesammelt. Eine vorläufige Auswertung zeigt, dass etwa drei von vier Patienten Antibiotika erhielten – obwohl auf den ersten Blick nur in etwa der Hälfte dieser Fälle eine Therapie mit Antibiotika nötig gewesen wäre.

"In wie vielen Fällen Antibiotika tatsächlich überflüssig waren, wird jedoch erst die ganz genaue Analyse der Krankengeschichten zeigen, die wir zur Zeit durchführen", so Schmitt. Die Tierärztinnen fanden auch Hinweise auf den häufigen Einsatz von nicht als erste Wahl empfohlenen Antibiotika-Stoffklassen und unnötige Wirkstoffkombinationen. In einem Drittel der Fälle wurden sogar kritische Antibiotika beziehungsweise Reserve-Antibiotika eingesetzt.

Ein Online-Tool als Entscheidungshilfe

Um diesen übermässigen und ungezielten Gebrauch von Antibiotika einzudämmen, haben Nägeli und sein Team ein Online-Tool entwickelt, das seit Ende 2016 auf einer viel besuchten veterinärmedizinischen Info-Webseite zur Verfügung steht. Damit soll die Bildung von Resistenzen verhindert und die Wirksamkeit der verfügbaren Antibiotika erhalten werden – auch im Hinblick auf deren Einsatz in der Humanmedizin.

Das Tool - der sogenannte AntibioticScout.ch - bietet Tierärzten eine schnelle und unkomplizierte Entscheidungshilfe bei der Auswahl und Dosierung von Antibiotika für häufige Infektionskrankheiten bei Katzen, Hunden, Pferden, Rindern und Schweinen. Für den Katzenschnupfen wird beispielsweise der Einsatz eines Antibiotikums nur dann empfohlen, wenn bestimmte Symptome zusammenkommen und die Katze in einem schlechten Allgemeinzustand ist. "Wir wollen erreichen, dass diese Leitlinien generell akzeptiert und befolgt werden, auch wenn sie nicht gesetzlich verankert sind", so Nägeli.

Im Rahmen ihres NFP72-Projekts wollen die Forschenden In den nächsten Jahren ermitteln, ob der AntibioticScout.ch einen messbaren Effekt auf die Verschreibungspraxis hat – unter anderem auch am Beispiel des Katzenschnupfens. So werden Lehner und Schmitt zwei Jahre nach der Einführung des Tools erneut Fallakten sammeln und analysieren, ob die Tierärztinnen und Tierärzte dann zurückhaltender und gezielter beim Verschreiben von Antibiotika vorgehen.

Neben dem Katzenschnupfen untersucht das Team auch noch weitere Erkrankungen bei Kleintieren wie etwa Infektionen des Harntrakts und Durchfall bei Hunden. "Wir haben dafür Indikationen ausgewählt, bei denen wir ein Verbesserungspotential sehen, weil Antibiotika oft nicht richtig eingesetzt werden", so Lehner. Ferner werden ausgewählte Indikationen bei Kälbern und Rindern ins Visier genommen.

Sachzwänge erschweren die Umsetzung

Obwohl die Forschenden schon viele positive Feedbacks zum Tool erhalten haben, weiss Nägeli auch, dass viele Veterinärinnen und Veterinäre dem Projekt eher skeptisch gegenüberstehen. "Einige befürchten beispielsweise, dass Tierbesitzer in eine andere Klinik wechseln, wenn ein krankes Tier nicht immer sofort ein potentes Antibiotikum gespritzt bekommt." Er sieht es deshalb auch als Aufgabe der Tiermediziner, in diesem Punkt ein Umdenken bei den Tierhaltern und Tierhalterinnen zu bewirken. Auch in der Nutztierhaltung rechnet er mit Widerständen – hier ist die Situation noch vielschichtiger, denn es spielen neben dem Wohlergehen der Tiere auch wirtschaftliche Faktoren eine grosse Rolle.

Trotzdem ist Nägeli zuversichtlich, dass es in den nächsten Jahren messbare Fortschritte bei der Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen geben wird – denn der AntibioticScout.ch ist nur ein kleiner Teil eines weitaus grösseren Projekts: Im Rahmen der nationalen Strategie Antibiotikaresistenzen (StAR) hat der Bundesrat einen umfassenden Massnahmenkatalog verabschiedet, der in den nächsten Jahren Schritt für Schritt umgesetzt werden soll.