"Wir brauchen ein klares Anwendungskonzept"

Über die Perspektiven von Whole Genome Sequencing für die nationale Surveillance spricht Jürg Danuser vom BLV, Leiter der Gruppe One Health beim Bund.

Whole Genome Sequencing (WGS) entschlüsselt in kürzester Zeit die gesamte genetische Information von Bakterien und anderen Mikroben. Daraus lassen sich umfassende Erkenntnisse zu Krankheitserregern gewinnen, etwa zu Antibiotikaresistenzen und Verwandtschaftsgraden zwischen Bakterien. Deshalb eignet sich die neue Technologie, um die Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen detaillierter als bisher zu überwachen. Auch, weil sich Proben von Menschen, Tieren, Lebensmitteln und aus der Umwelt vergleichen lassen. Über den Stand und die Perspektiven von WGS für die nationale Surveillance spricht im Interview Jürg Danuser vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV, der die Gruppe One Health beim Bund leitet.

Herr Danuser, das BLV wird als erstes Bundesamt für die schweizweite Überwachung von antibiotikaresistenten Krankheitserregern auf die WGS-Technologie umstellen. Was ist geplant?

Wir führen WGS als Standard zuerst ergänzend, dann als Ablösung der phänotypischen Methoden ein im Resistenzmonitoring bei Nutztieren und Fleisch. Das betrifft Proben, die bei Schlachttieren und im Verkauf von Fleisch genommen werden.

Weshalb setzen Sie gerade da auf die neue Technologie?

Wir beschäftigen uns derzeit auf verschiedenen Gebieten mit dem Einsatz von WGS. Doch in diesem spezifischen Bereich hat nun die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit erst gerade anfangs Juni einen Fahrplan für die Umstellung skizziert. Der sieht vor, dass die Länder ab 2021 WGS-Daten an die gesamteuropäische Datenbank liefern. Zunächst auf freiwilliger Basis und nur für bestimmte antibiotikaresistente Bakterien, nämlich für ESBL-produzierende E. coli. Ab 2025 wird WGS zum Standard, auch für andere Arten. Aufgrund des Rahmenabkommens im Landwirtschaftsbereich ist das auch für uns verbindlich.

Das ist also blosse Pflichterfüllung?

Nein, denn die Vorteile liegen auf der Hand. Die WGS-Daten legen sozusagen das ganze genetische Buch eines Erregers offen. Wenn etwa ein Gen neu entdeckt wird, das zu Resistenz führt, können in der Datenbank alle Proben rückwirkend danach untersucht werden, statt dass man nochmals ins Labor muss, um diese Gensequenz einzeln nachzuweisen. Zudem ermöglicht die vollständige genetische Information eines Erregers jederzeit auch ganz andere Auswertungen. Vielleicht möchte man in einigen Jahren mehr über Virulenzeigenschaften wissen. Das könnte man in derselben Datenbank untersuchen.

Sie leiten die Koordinationsgruppe One Health beim Bund. Wie beurteilen Sie aus dieser Perspektive die Idee, mit einer Umstellung auf WGS auch gleich die genetischen Daten von Krankheitserregern aus Menschen, Tieren, Lebensmitteln und der Umwelt bereichsübergreifend zusammenzuführen?

Wenn das mit einheitlichen Datenstandards gelingt, erhalten wir natürlich einen sehr viel tieferen Einblick in die Verbreitungswege von Resistenzen. Sowohl wir wie die Beteiligten der Strategie Antibiotikaresistenzen StAR verfolgen deshalb sehr eng das NFP 72-Projekt, in dem eine solche Integrationsplattform entwickelt wird. Für uns ist vor allem interessant zu sehen, welche praktischen Lösungswege da ausprobiert werden, von der Verknüpfung von Daten im Hintergrund bis hin zum Interface, mit dem wir letztlich auch arbeiten würden.

Wenn sich diese Plattform bewährt und damit ein Instrument zu einer integrierten und detaillierten Überwachung von Antibiotikaresistenzen geschaffen wird: Können Sie das dann auch einsetzen?

Wir selber, also das Koordinationsorgan One Health, können das nicht einfach entscheiden. Wir verfügen auch nicht über die notwendigen Ressourcen. Ich denke, im Moment ist vor allem wichtig, dass wir vorausschauend denken und sowohl Bundesbehörden wie Kantone sich mit dem Thema befassen, sich austauschen und dann koordiniert vorgehen. Denn einerseits benötigen wir dafür etwa klare gesetzliche Regelungen auf nationaler Ebene, andrerseits kann so ein System nur unter dem Einbezug der Kantone, das heisst der Kantonschemiker, Kantonstierärzte und Kantonsärzte gelingen.

An was denken Sie da konkret?

Das betrifft viele Fragen, etwa wenn es um das Sammeln von Proben geht. Die Laboruntersuchung an sich könnte man bald überall machen, da gibt es auch private Anbieter. Aber die Erhebung der Proben ist meist Sache der Kantone. Das ist bei anderen Themen genauso, deshalb sind wir zwischen Bund und Kantonen gut vernetzt.

Sie haben die gesetzlichen Regelungen auf nationaler Ebene angesprochen. Was bedarf es da?

Zunächst muss man sich überlegen, wie eine gemeinsame Surveillance in den einzelnen Bereichen umgesetzt werden kann. Das tangiert verschiedene Gesetze wie das Lebensmittelgesetz, das Tierseuchengesetz und das Epidemiengesetz. Entsprechend haben sich unterschiedliche Formen der Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen etabliert. Die betroffenen Bundesämter müssen aber auch die Möglichkeit haben, Aufträge zum Beispiel an Referenzlaboratorien zu erteilen und zu diese entsprechend zu entschädigen.

Was sind konkret die nächsten Schritte zur Realisierung einer schweizweiten, bereichsübergreifenden Resistenzüberwachung auf Basis der WGS-Technologie?

Beim jetzigen Stand ist für uns das NFP 72-Projekt sehr wichtig. Es wird uns die Grundlagen für die weiteren Diskussionen liefern. Nicht einfach die Technologie, sondern konkrete Lösungsansätze. Denn in diesem Projekt werden bereits Daten aus verschiedenen Kantonen und von Tier, Lebensmittel und Mensch zusammengeführt. Und dann brauchen wir ein klares Anwendungskonzept. Das müsste einerseits festlegen, bei welchen Keimen die Prioritäten liegen, und andrerseits ganz klar die Resistenzüberwachung mit der Bekämpfung verbinden. Denn schliesslich wollen wir Verbreitungswege und Ausbrüche entdecken, um sie einzudämmen.