"Antibiotikaresistenzen sind schwieriger zu kontrollieren."

Es gibt klare Parallelen zwischen der Verbreitung von Covid-19 und Antibiotikaresistenzen. Dennoch sind letztere schwieriger einzudämmen. Interview mit Patrice Nordmann

Trotz Parallelen: Während die Corona-Pandemie in absehbarer Zeit zu einem Ende kommen dürfte – wenn eine Impfung verfügbar wird –, werden Antibiotikaresistenzen noch für lange Zeit ein Problem bleiben. Patrice Nordmann, Leiter des Nationalen Referenzlabors zur Früherkennung und Überwachung neuartiger Antibiotikaresistenzen (NARA), erklärt weshalb.

Die weltweite Verbreitung von Covid-19 und jene von Antibiotikaresistenzen werden häufig verglichen. Was sind die Parallelen?

Beide werden weitgehend durch dieselben Faktoren getrieben: Durch Träger, die keine Symptome zeigen, durch dichte Besiedlung, also viele Menschen auf engem Raum, durch schlechte Hygiene sowie durch die stetige weltweite Reisetätigkeit. Und beide können sich von Tier zu Mensch und umgekehrt verbreiten. Überdies haben sowohl Covid-19 wie auch viele Arten von Antibiotikaresistenzen ihren Ursprung in Asien. Dort lebt die Hälfte der Weltbevölkerung und eine wachsende Zahl von Nutztieren, was die Übertragung zwischen Tier und Mensch begünstigt.

Trotzdem unterscheidet sich bei Antibiotikaresistenzen die Situation in einzelnen Ländern deutlich, während sie sich bei Covid-19 in den meisten Ländern ähnlich entwickelt hat.

Neben den Parallelen gibt es eben auch Unterschiede. Einerseits verbreiten sich Antibiotikaresistenzen insgesamt langsamer. Oft werden sie zunächst etwa innerhalb des menschlichen Darms unter Bakterienarten übertragen, die zur normalen Darmflora gehören. Danach gelangen die Antibiotika-Resistenzgene auf Krankheitserreger, die Infektionen erzeugen, welche später nur schwierig oder gar nicht mehr mit Medikamenten geheilt werden können. Covid-19 hingegen ist ein einzelner hoch ansteckender Erreger, der oft spezifische Symptome verursacht. Wer damit infiziert ist und in einem Flugzeug sitzt, überträgt den Erreger mit grosser Wahrscheinlichkeit auf andere Passagiere. Doch antibiotikaresistente Bakterien reisen in der Darmflora um die ganze Welt, ohne dass man irgendetwas bemerkt oder sie sich unmittelbar auf andere Menschen übertragen.

Dabei gibt es eine Vielzahl von Resistenzmechanismen, die auf verschieden bakterielle Gene zurückzuführen sind. Verbreiten sich die alle weltweit?

Nicht alle, aber einige. Im Jahr 2003 identifizierte ich zum Beispiel mit Kollegen ein bestimmtes bakterielles Enzym, eine der sogenannten Betalaktamasen, die für gefährliche Antibiotikaresistenzen verantwortlich sind. Ursprünglich wurde dieses Enzym aus einer Bakterienprobe aus der Türkei gewonnen, später dann an vielen weiteren Orten rund um den Globus identifiziert. Es ist zu einem der wichtigsten Resistenzmechanismen weltweit geworden. Dasselbe ist auch mit anderen Betalaktamasen passiert, die etwa zunächst in Indien auftraten und sich von dort verbreitet haben.

Das heisst, es treten letztlich überall dieselben Resistenzen auf?

Im Allgemeinen sehen wir eher regionale Hotspots, in denen bestimmte Resistenzmechanismen dominieren. Zum Beispiel sind die meisten antibiotikaresistenten Darmbakterien in der Schweiz aufgrund von Genen resistent, die sich zunächst in Italien und Griechenland verbreitet haben. Daneben gibt es aber auch viele andere, weniger häufige Resistenzgene, mit anderen Ursprüngen. Und ständig kommen neue hinzu, ständig verändert sich die Situation.

Doch sie verändert sich vergleichsweise langsam, wie Sie sagen. Sollten also Antibiotikaresistenzen leichter einzudämmen sein als Covid-19?

Leider ist das Gegenteil der Fall, und zwar aus verschiedenen Gründen. Einer ist, dass wir es bei Covid-19 mit einem einzigen Virus zu tun haben. Selbst wenn wir kleine Mutationen in dessen Erbgut sehen, ist es immer noch mehr oder weniger das gleiche Virus, sei es in Bern oder Singapur. Bei Antibiotikaresistenzen hingegen sind wir wie gesagt mit vielen Resistenzmechanismen konfrontiert, die sehr unterschiedlich funktionieren und sich auf diverse Erreger übertragen. Ein weiterer wichtiger Unterschied betrifft die Diagnostik. Man kann Covid-19 relativ einfach mit PCR- und Antigentests nachweisen, die auf Standardtechniken beruhen. Im Vergleich dazu ist es aber schwierig, Antibiotikaresistenzen zu identifizieren. Einerseits, weil sie so vielfältig sind, andrerseits ist in einer Probe jeweils nur eine kleine Menge der Bakterien resistent.

Grosse Hoffnung ruht auf einer Impfung gegen Covid-19. Könnte eine solche auch bei Antibiotikaresistenzen die Wende herbeiführen?

In der Tat werden wir die Corona-Pandemie in den Griff bekommen können, sobald ein sicherer Impfstoff gegen Covid-19 zu Verfügung steht. Wie bei einem Masernausbruch wird man Infizierte isolieren und gleichzeitig die Bevölkerung breit angelegt impfen. Bei Antibiotikaresistenzen jedoch ist das kaum möglich. Wiederum wegen der Vielzahl an unterschiedlichen Resistenzmechanismen und betroffenen Bakterienarten. Und weil Resistenzen auch bei Bakterien vorkommen, die etwa zur normalen – und lebenswichtigen – Darmflora gehören.

Welche anderen Massnahmen braucht es also, um die Zunahme von Antibiotikaresistenzen unter Kontrolle zu bringen?

Zentral ist zunächst der angemessene Einsatz von Antibiotika, um die Entstehung neuer Resistenzen möglichst zu vermeiden. Und wir müssen schnellere Diagnostikverfahren entwickeln sowie neue Antibiotika, welche an bisher nicht genutzten Schwachstellen gegen Bakterien wirken. Doch auch damit werden Antibiotikaresistenzen nicht ganz verschwinden. Wir können nur dafür sorgen, dass wir ihnen immer einen Schritt voraus sind.