Covid-19 und Antibiotikaresistenz – Parallelen, Zusammenhänge, Folgen

NFP 72-Forschende und weitere Fachleute geben einen Überblick zu Parallelen und Zusammenhängen zwischen Covid-19 und Antibiotikaresistenzen.

​Covid-19 macht sich im NFP 72 bemerkbar. Viele Forschende, die sonst hauptsächlich mit Antibiotikaresistenzen zu tun haben, müssen ihre Arbeiten im Rahmen des Programms seit einigen Monaten zurückstecken, da sie beruflich in der Corona-Pandemie gefragt sind: Sie leisten als Infektiologinnen und Infektiologen, als Leitende von Spitallabors oder der Spitalhygiene einen bedeutenden Beitrag zur Bewältigung der Krise.

Doch es sind nicht nur dieselben Medizinerinnen und Mediziner, die sich mit beiden Themen beschäftigen. Covid-19 und Antibiotikaresistenz sind in wichtigen Punkten parallele, teilweise zusammenhängende Pandemien. Natürlich gibt es auch bedeutende Unterschiede. So handelt es sich bei Covid-19 um eine einzelne Virenart, die sehr schnell um die ganze Welt ging, während sich Antibiotikaresistenzen in unterschiedlichsten bakteriellen Erregern entwickeln, sich langsamer ausbreiten – jedoch langfristig schwierig einzudämmen sind.

Dennoch überschneiden sich zentrale Massnahmen zur Bekämpfung von beiden, etwa hinsichtlich des persönlichen Schutzverhaltens und besonders der epidemiologischen Überwachung. Die Corona-Pandemie führt vor Augen, welche Auswirkungen Antibiotikaresistenzen in Zukunft haben könnten, auch wenn diese Problematik im Moment noch weniger akut ist. Um jedoch eine künftige – und absehbare – Katastrophe zu vermeiden, ist es wichtig, Lehren aus der jetzigen Krise zu ziehen und zu analysieren, ob und wie sich Covid-19 auf die Problematik der Antibiotikaresistenzen auswirken wird. Zudem können umgekehrt Erfahrungen aus der Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen auch bei Covid-19 nützlich sein.

Mit diesen Zielen präsentieren und diskutieren NFP 72-Forschende und Fachleute die Parallelen und Zusammenhänge zwischen Covid-19 und Antibiotikaresistenzen in einer Antibiotic Awareness Week-Sondernummer des «Swiss Medical Forum» und im «Swiss Medical Weekly». Es bleibt dabei zu hoffen, dass die Aufarbeitung der Corona-Pandemie auch den Blick für das pandemische Potential der Antibiotikaresistenzen öffnet, wie Stefan Kuster, Leiter der Abteilung übertragbare Krankheiten des BAG, im Editorial des Swiss Medical Forum schreibt.

Die nun publizierten hochaktuellen Beiträge behandeln die folgenden Themen:

Ähnliche Verbreitungswege, unterschiedliches Tempo

Träger, die keine Symptome aufweisen, mangelnde Hygiene, internationale Mobilität: Unter anderen sind diese Faktoren wesentlich an der globalen Ausbreitung sowohl von Covid-19 wie von Antibiotikaresistenzen beteiligt. Dabei verbreiten sich Resistenzen zwar langsamer, sind aber schwieriger zu bekämpfen. Nicht zuletzt, weil sie sich auch in "guten" Bakterien – vor allem Darmbakterien – verbreiten, die keine Krankheiten auslösen, sondern im Gegenteil zur normalen Darmflora gehören. Der Beitrag diskutiert, welche Massnahmen sowohl Covid-19 wie Antibiotikaresistenzen eindämmen können – und was es zusätzlich braucht, um letztere langfristig zu kontrollieren.

Die Krise verdeutlicht: Wir brauchen "Antibiotic Stewardship"

Die typischen Anzeichen einer Covid-19-Erkrankung sind wenig spezifisch, sie könnten ebenso auf eine bakterielle Infektion hinweisen. Gerade zu Beginn der Pandemie dürften wegen der fehlenden klaren Diagnostik deshalb oft fälschlicherweise Antibiotika verschrieben worden sein. Das unterstreicht den ohnehin dringenden Bedarf nach "antibiotic stewardship"-Konzepten. Der Artikel schildert die grundlegenden Aspekte eines gesamtschweizerischen "antibiotic stewardship"-Konzepts, wie es vom nationalen Zentrum für Infektionsprävention Swissnoso als Teil der Strategie Antibiotikaresistenzen (StAR) erarbeitet wird.

Hygiene, Maske, Ellbogengruss: Mögliche Effekte auf die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen

In den vergangenen Monaten haben sich Menschen weltweit individuelle Schutzmassnahmen angewöhnt, die vor Infektionen schützen. Wenn sich einige Verhaltensänderungen längerfristig etablieren, wäre das auch gegen die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen hilfreich. Der Artikel analysiert dieses Potential, und weist dabei auch auf mögliche negative Effekte hin, welche die Covid 19-Pandemie etwa auf das Impfverhalten haben könnte.

Therapieentscheide dank Point-of-Care Diagnostik: Auch bei Covid-19-PatientInnen?

Nach aktuellem Wissen haben Covid-19-PatientInnen eher selten gleichzeitig eine bakterielle Lungenentzündung. Doch wenn dies der Fall ist, ist eine Antibiotikatherapie wichtig. Allerdings ist eine klare Diagnose schwierig, weshalb häufig unnötigerweise Antibiotika verschrieben werden. Der Artikel diskutiert den Nutzen verschiedener Diagnostikmethoden, um bei Covid-19-PatientInnen insbesondere in Hausarztpraxen bakterielle Begleitinfektionen schnell zu erkennen.

Überwachung des Infektionsgeschehens: Analogien zwischen Covid-19 und Antibiotikaresistenzen

Eine sich laufend verändernde epidemiologische Situation, komplexe Übertragungsketten: Was das Contract Tracing bei Covid-19 so schwierig macht, ist auch eine Herausforderung in der Surveillance von Antibiotikaresistenzen. Doch sie ist unerlässlich, um Ausbrüche schnell erfassen und zu intervenieren. Der Beitrag diskutiert die Bedeutung der Surveillance von Antibiotikaresistenzen, wie sie in der Schweiz ANRESIS betreibt, blickt auf neue Methoden, die mit der "Swiss Pathogen Surveillance Platform" entwickelt werden, und nimmt Bezug auf die aktuellen Erfahrungen in der Covid-19-Pandemie.

Behandlung von Covid-19-PatientInnen mit gleichzeitigen bakteriellen Infektionen

Oftmals leiden Patientinnen und Patienten mit viralen Infekten unter gleichzeitigen bakteriellen Infektionen. Diese können bereits zu Beginn für die gezeigten Symptome mitverantwortlich sein, oder aber später in der Folge der viralen Infektion auftreten. Bei Covid-19 stehen hierbei vor allem zusätzliche Infekte der Atemwege im Fokus. Sie sind zwar wenig häufig, können aber eine gezielte Behandlung erfordern. Der Artikel fasst das aktuelle Wissen (Stand September 2020) zu Vorkommen, Diagnostik und Behandlung zusammen und zieht Schlüsse für das Vorgehen in der Antibiotikatherapie.

Covid 19-Pandemie offenbart prekäre Versorgungssicherheit bei Antibiotika

Die COVID-19 Pandemie macht deutlich, wie stark die Versorgung mit Medikamenten und Medizinalprodukten von globalen Lieferketten abhängig ist. Nicht zuletzt bei Antibiotika traten in verschiedenen Ländern Engpässe auf. Dies erstaunt nicht, denn bei Antibiotika war die Problematik schon länger bekannt. Doch bisher getroffene Massnahmen scheinen eher von Aktionismus denn von langfristiger Planung geleitet. Der Artikel gibt eine Übersicht hierzu und zeigt verschiedene Lösungsansätze auf.

Die Krise nutzen, um Gesundheitssysteme widerstandsfähiger zu machen

Covid-19 und Antibiotikaresistenz: Beide Herausforderungen legen weltweit die Schwächen von Gesundheitssystemen offen. Die Covid-19-Pandemie hat nun eine grosse politische Dynamik ausgelöst. Der Artikel argumentiert, dass diese genutzt werden sollte, um die Gesundheitssysteme generell widerstandsfähiger gegenüber Ausbrüchen von Infektionskrankheiten zu machen. Er zeigt hierzu einen gemeinsamen Rahmen auf für den Umgang sowohl mit Antibiotikaresistenz wie mit Covid-19.