Abgeschlossenes Projekt: Antibiotikaverschreibung in Spitälern: Unterstützungstool weniger erfolgreich als erhofft
Eine digitale Hilfe für die Antibiotikaverschreibung in Spitälern erzielte geringe Effekte. Nun setzen die Forschenden auf höhere Benutzerfreundlichkeit.
Empfehlungen direkt in der elektronischen Patientenakte
Während eines Spitalaufenthalts erhalten 30-50 % der Patientinnen und Patienten Antibiotika. Allerdings ist es für Ärztinnen und Ärzte eine grosse Herausforderung, stets das richtige Medikament in der richtigen Dosierung und Dauer zu verschreiben. Dazu trägt nicht zuletzt bei, dass laufend Erreger mit neuen Antibiotikaresistenzen auftreten, oftmals in lokal eng begrenzten Ausbrüchen. Doch der Einsatz von Antibiotika, die nicht die gewünschte Wirkung erzielen, fördert die Entstehung und Verbreitung von Antibiotikaresistenzen und setzt die Patientinnen und Patienten anderen unerwünschten Nebenwirkungen aus.
Um dem entgegenzutreten, setzt ein Team um Benedikt Huttner von der Universität Genf auf computergestützte Entscheidungshilfen, die aktuelle Behandlungsempfehlungen enthalten. Im Projekt COMPASS (COMPuterized Antibiotic Stewardship Study) haben sie ein solches Tool direkt in die hauseigenen Patientenakten von drei Spitälern in Genf, Lugano und Bellinzona integriert. Auf diese Weise erhalten Ärztinnen und Ärzte unmittelbar während der Konsultationen Unterstützung sowohl für die Wahl der richtigen Antibiotika wie für die geeignete Behandlungsdauer. Überdies müssen sie klare Begründungen angeben, wenn sie in ihrer Verschreibung von den lokalen Leitlinien abweichen, und sie erhalten alle drei Monate Rückmeldungen zu ihrer Verschreibungspraxis.
Kein Effekt auf die Menge, aber Hinweise auf bessere Qualität der Verschreibungen
In einer Studie haben die Forschenden das Tool während eines Jahres von Ärztinnen und Ärzten in verschiedenen Spitalabteilungen nutzen lassen und dabei deren Verschreibungspraxis mit einer Gruppe von Ärztinnen und Ärzten verglichen, die im selben Zeitraum in anderen Abteilungen der gleichen Spitäler gearbeitet haben, aber das Tool nicht verwendet haben. Die Zuteilung der Abteilungen erfolgte dabei zufällig. Während des Studienzeitraums gab es über 11'000 Einweisungen auf die Abteilungen in der Versuchsgruppe und über 9'500 Einweisungen auf Abteilungen in der Vergleichsgruppe. Insgesamt erhielten etwa vier von zehn Patientinnen und Patienten Antibiotika.
In der Auswertung berücksichtigten die Forschenden auch Faktoren, welche die Antibiotikaverschreibung beeinflussen können wie Alter, Art der Abteilung und Begleiterkrankungen. Es zeigte sich jedoch insgesamt kein Effekt in Bezug auf die Menge der verschriebenen Antibiotika: Ärztinnen und Ärzte, die das Tool verwendeten, reduzierten ihren Gebrauch der Medikamente nicht wesentlich. Weitergehende Analysen legen aber einen Effekt des Tools auf die Qualität der Verschreibung nahe, z.B. wurden Patienten in Abteilungen mit dem Tool häufiger auf orale Antibiotika umgestellt. Doch das wichtige Ziel, den Antibiotikagebrauch zu reduzieren, hat die getestete Intervention verfehlt. Als mögliche Gründe dafür sehen die Forschenden die unzureichende Akzeptanz des Tools bei den Ärztinnen und Ärzten sowie seine ungenügende Benutzerfreundlichkeit. Überdies könnte es sein, dass die Antibiotikaverschreibung in den getesteten Spitälern bereits relativ gut ist und somit im konkreten Fall schwieriger ist Verbesserungen zu erzielen.
Bessere Benutzerfreundlichkeit soll Akzeptanz erhöhen
Doch das Projekt hat deutlich gemacht, dass sich Stewardshipprogramme, die den gezielteren Antibiotikaeinsatz in Spitälern fördern, mit digitalen Hilfsmitteln grundsätzlich mit vertretbarem Aufwand umsetzen lassen. Die Forschenden erwarten denn auch längerfristig eine höhere Akzeptanz und somit Effektivität solcher Tools. Um zu erforschen, wie deren Benutzerfreundlichkeit und Flexibilität erhöht werden kann, untersucht das Team von Benedikt Huttner in einem internationalen Projekt (siehe Link unten) eine von einer kanadischen Firma entwickelte Smartphone-App mit denselben Zielen. Sie wird derzeit in Spitälern in der Schweiz, den Niederlanden, Schweden getestet. Die Studie ist noch nicht abgeschlossen, doch bereits hat sich gezeigt, dass die Nachfrage nach diesem benutzerfreundlich gestalteten Tool sehr gross ist, besonders bei jüngeren Ärztinnen und Ärzten.
Stand: November 2021