UltraPro senkt Verschreibung von Antibiotika
UltraPro: Die Vertrautheit der Hausärzte mit Ultraschalluntersuchungen und die Unterstützung durch die medizinischen Praxisassistent/-innen sind essenziell für die neue Strategie.
Ausbildung von Ärzten für Lungenultraschall
Die Pilotstudie zur Einsetzbarkeit des UltraPro-Algorithmus in Hausarztpraxen ist abgeschlossen. Sie hat aufgezeigt, wie wichtig die Vertrautheit der Hausärzte mit Ultraschalluntersuchungen der Lunge einerseits und die Unterstützung durch die medizinischen Praxisassistent/-innen andererseits ist.
Nur eine von zwanzig akuten Atemwegsinfektionen ist eine bakterielle Pneumonie. Dennoch ist der Verdacht auf diese Erkrankung einer der Hauptgründe für die übermässige Verordnung von Antibiotika: Eine bakterielle Lungenentzündung lässt sich nur schwer von einer Virusinfektion, die in der Regel spontan ausheilt, unterscheiden. Beide Infektionen äussern sich in sehr ähnlichen Symptomen.
Zur Lösung dieses Problems hat ein Team aus Hausärzten und Radiologen unter der Leitung von Dr. Noémie Boillat-Blanco am Institut für Infektionskrankheiten des CHUV ein neues Diagnoseverfahren entwickelt: "UltraPro". Sein Algorithmus kombiniert die Ergebnisse einer Ultraschalluntersuchung der Lunge (Ultra) mit dem Gehalt des Peptids Procalcitonin (Pro) im Blut der Patienten.
Präzise Identifizierung von Patienten mit einer bakteriellen Pneumonie
Procalcitonin wird seit rund zwanzig Jahren als Biomarker genutzt, da seine Konzentration im Blut bei einer bakteriellen Infektion zunimmt. Ist dieser Blutwert niedrig (<0,25 µg/L), kann der Arzt auf die Verordnung eines Antibiotikums verzichten. "Allerdings", erklärt Noémie Boillat-Blanco, "ist der Procalcitoninwert für sich genommen kein ausreichender Indikator, da er auch unter anderen Umständen erhöht (>0,25 µg/L) sein kann, etwa bei einer bakteriellen Bronchitis. Diese muss aber nicht mit Antibiotika behandelt werden." Daher ist es sinnvoll, den Procalcitoninwert in Kombination mit einer Lungensonographie zu betrachten. Diese schnelle, schmerzlose und effiziente Untersuchung kann von jedem Mediziner, also auch von Nicht-Radiologen, durchgeführt werden. Sie gibt Auskunft darüber, ob das klinische Zeichen einer bakteriellen Lungenentzündung – ein Infiltrat in der Lunge – vorliegt.
Eine Behandlung mit Antibiotika ist dann angebracht, wenn Patienten sowohl einen erhöhten Procalcitoninwert als auch ein Lungeninfiltrat aufweisen. In allen anderen Fällen können die Hausärzte auf die Verordnung von Antibiotika verzichten. "Natürlich bleibt es jedem Arzt freigestellt, im Zweifelsfall zusätzliche Untersuchungen durchzuführen", sagt Noémie Boillat-Blanco.
Um herauszufinden, ob sich der UltraPro-Test für den Einsatz in Hausarztpraxen eignet, hat das Team um Noémie Boillat-Blanco eine Pilotstudie durchgeführt, an der zwischen Dezember 2017 und April 2018 acht Allgemeinmediziner der Polyklinik Flon teilnahmen. Drei von ihnen haben die Studie auch in ihren Hausarztpraxen fortgeführt. Eine Gruppe von 20 Patienten wurde nach den folgenden, vorab festgelegten Kriterien ausgewählt: Sie mussten älter als 18 Jahre sein, durften zum Zeitpunkt der Studie keine Antibiotika einnehmen, sollten seit weniger als 21 Tagen an Husten leiden und mussten mindestens eines der folgenden Symptome aufweisen: Fieber seit mehr als 4 Tagen, Dyspnoe, Tachypnoe und/oder anormale Lungengeräusche.
Die Ärzte müssen für die Anwendung der Ultraschalluntersuchung gut geschult sein
Zunächst fand eine Schulung für die Hausärzte statt. "Wir haben die Ärzte im Rahmen einer eintägigen Schulung über die Problematik der Antibiotikaresistenz von Bakterien, die theoretischen Aspekte der Pneumonie und den Einsatzzweck des UltraPro-Algorithmus aufgeklärt. Ausserdem konnten die Mediziner praktische Erfahrungen mit der Ultraschalluntersuchung der Lunge sammeln", sagt Noémie Boillat-Blanco.
Wie die Pilotstudie zeigte, waren die Mediziner in hohem Masse für das Thema sensibilisiert. Als kritisch erwies sich die richtige Anwendung der Ultraschallgeräte, da die Hausärzte hier wenig Erfahrung hatten und nur die Hälfte von ihnen sich in der Lage sah, diese Untersuchung an Patienten vorzunehmen. "Daher haben wir beschlossen, intensiver und praxisnäher auf die Anwendung der Lungensonographie einzugehen", sagt Noémie Boillat-Blanco. "Die Mediziner hatten während zwei zusätzlicher Stunden Gelegenheit, Patienten, die an einer bakteriellen Pneumonie litten, zu untersuchen. Ausserdem stellen wir den Ärzten Referenzdaten in Form einer Bilddatenbank mit Lungensonographien zur Verfügung. Wir ermutigen sie auch, ihre Patienten regelmässig per Ultraschall zu untersuchen, um sich mit der Technik vertraut zu machen.»"
Die medizinischen Praxisassistent/-innen haben entscheidenden Einfluss auf die Einführung des UltraPro-Tests
Loïc Lhopitallier ist Arzt am Institut für Infektionskrankheiten des CHUV und betreut das Projekt vor Ort. Er bringt die Diagnoseausrüstung in die Praxen mit und unterrichtet die Ärzte und die medizinischen Assistenten über die Verfahren im Zusammenhang mit der Studie. "Wir stellen den Praxen ein Kit zur Verfügung, das aus einem Gerät zur Bestimmung des Procalcitoninwerts im Blut, einem Ultraschallgerät mit angeschlossenem Tablet und der Software für die Eingabe der für die Studie relevanten Daten besteht", erklärt Loïc Lhopitallier.
"Da jede Arztpraxis anders arbeitet, ist es wichtig, genau hinzuhören und das Verfahren jeweils individuell anzupassen. Die medizinischen Assistenten führen die Blutentnahmen durch und bestimmen den Procalcitoninwert. Nach unserer Erfahrung haben sie daher eine Schlüsselposition. Wenn sie erkennen, wie wichtig die Studie für die öffentliche Gesundheit ist, sind sie gerne bereit, sich für die Studie ausbilden zu lassen, um ihre Durchführung effizient unterstützen zu können."
"Das ist umso wichtiger", erklärt Noémie Boillat, "als die medizinischen Assistenten auch Blutproben für eine Biobank nehmen müssen, die wichtige Informationen für weitere Forschungsarbeiten über Atemwegserkrankungen liefert."
Die UltraPro-Diagnostik ist praxistauglich
Die Pilotstudie hat gezeigt, dass der Procalcitoninwert innerhalb von 20 Minuten bestimmt werden kann und dass die Hausärzte innerhalb von 15 bis 20 Minuten eine aussagefähige Lungensonographie vornehmen und diese korrekt deuten können. "Nach unserer Erfahrung sind die Patienten sehr kooperativ", sagt Willy Gilgien, ein an der Studie teilnehmender Hausarzt. "In der Regel investieren sie gerne etwas Zeit, weil sie wissen, dass durch die Studie das Risiko unnötiger Antibiotikagaben gesenkt wird."
Nach den ermutigenden Ergebnissen der Pilotstudie hinsichtlich der Einsetzbarkeit des UltraPro-Tests haben Boillat Blanco und ihr Team Ende August eine randomisierte klinische Studie mit 42 Ärzten begonnen. Jeder teilnehmende Arzt muss im Zeitraum von 15 Monaten insgesamt 15 Patienten rekrutieren. Anhand der Studie soll der Einfluss des UltraPro-Tests auf die Verordnung von Antibiotika und die zukünftige klinische Entwicklung der Patienten beurteilt werden können. "Die Studie erstreckt sich somit über zwei Grippesaisons", erklärt Willy Gilgien. "Damit erhöht sich die Zahl der Patienten, die die Kriterien erfüllen."
Dank der Sensibilisierung der Ärzteschaft und der Patienten für die Problematik der übermässigen Verordnung von Antibiotika und angesichts der Einfachheit des Diagnoseverfahrens stehen die Chancen gut, dass UltraPro demnächst in vielen Hausarztpraxen zum Einsatz kommt.