Abgeschlossenes Projekt: Kälbermast – Es geht mit weniger Antibiotika

Mireille Meylan zu Besuch auf einem Testbetrieb, im eingestreuten Auslauf.

Berner Forschende zeigen, dass mit recht einfachen Massnahmen der Antibiotikaeinsatz auf Kälbermastbetrieben der Antibiotikaeinsatz drastisch reduziert werden könnte.

Mireille Meylan zu Besuch auf einem Testbetrieb, im eingestreuten Auslauf.

Die Schweizer Kälbermast braucht grosse Mengen Antibiotika – auch wenn die Branche deren Einsatz in den vergangenen Jahren bereits reduzieren konnte. In vielen Betrieben hält man sich allerdings mit weitergehenden Massnahmen zurück, weil oft unklar ist, wie sie sich auf ihre wirtschaftliche Effizienz auswirken werden. Forschende der Universität Bern haben nun ein Mastkonzept entwickelt, das mit deutlich weniger Antibiotika auskommt, ohne die Wirtschaftlichkeit des Betriebes zu gefährden.

Die ersten Wochen sind entscheidend

Für das sogenannte "Freiluftkalb"-Konzept hat das Team um Mireille Meylan von der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern zunächst analysiert, weshalb Mastkälber Krankheitsbilder entwickeln, die den Einsatz von Antibiotika nötig machen. Im Fokus stehen dabei Lungenentzündungen. Diese sind in der Mast häufig und der Hauptgrund für Antibiotikabehandlungen. Besonders in den ersten Lebenswochen sind junge Tiere hohen Infektionsrisiken ausgesetzt. Wenn sie zudem im Transport vom Geburtshof zum Mastbetrieb mit anderen Kälbern gemischt werden und bei der Ankunft mit weiteren Kälbern in noch grössere Gruppen gelangen, verbreiten sich Krankheitserreger oft sehr schnell.

Deshalb kaufen Mäster im neuen Konzept ihre Kälber nur von Betriebn zu, die in ihrer Nähe liegen. Während den kurzen Transporten werden keine Tiere aus verschiedenen Betrieben gemischt. Die ersten Wochen nach der Ankunft halten sich die Tiere dann in Einzeliglus im Freien auf und werden gegen Lungenentzündungen geimpft. Erst nach dieser Quarantäne kommen sie in kleinen Gruppen von maximal zehn Kälbern zusammen. In diesen verbringen sie die restliche Zeit ihrer durchschnittlich viermonatigen Mastdauer. Dabei bleiben sie immer im Aussenbereich, wo sie über ein Gruppeniglu und einen überdachten, reichlich eingestreuten Auslauf verfügen.

Gesündere Tiere

Ob das in der Realität tatsächlich zu gesünderen Tieren und weniger Antibiotikaeinsatz führt, wurde auf 19 Kälbermastbetrieben in den Kantonen Bern, Freiburg, Luzern, Aargau und Solothurn während je 12 Monaten getestet. Dabei besuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Bern jeden Betrieb mindestens einmal pro Monat. Sie erhoben jeweils den Gesundheitszustand und das Wohlergehen der Kälber. Dasselbe taten sie auch auf 19 Vergleichsbetrieben in derselben Region, die nach den Vorgaben von IP-SUISSE produzierten, einem Label mit ebenfalls hohen Anforderungen an das Tierwohl. Es zeigte sich, dass bei den nach dem "Freiluftkalb"-Konzept gehaltenen Kälbern nicht nur weniger Atemwegs- und Verdauungskrankheiten auftraten, sondern auch frühzeitige Todesfälle deutlich seltener waren.

Fünfmal weniger Antibiotika

Mit Hilfe der Landwirte protokollierten die Forschenden auch den Antibiotikaeinsatz akribisch. Und sahen deutliche Unterschiede: Während auf den Vergleichsbetrieben mehr als jedes zweite Kalb im Verlauf seines Lebens Antibiotika benötigte, war es bei den "Freiluftkälbern" weniger als jedes sechste. Und bei der durchschnittlichen Behandlungshäufigkeit pro Kalb war der Unterschied noch grösser: In Betrieben mit dem neuen Konzept wurden fünfmal weniger Behandlungstage pro Kalb verzeichnet als auf den Vergleichsbetrieben.

In einer Folgestudie analysierten Mireille Meylan und ihr Team auch die wirtschaftlichen Aspekte des "Freiluftkalbs". Sie berechneten hierzu den spezifischen Aufwand, den ein Mäster pro Kalb hat – vom Ankaufspreis über die benötigte Arbeit bis zum Futter. Es zeigte sich, dass die Mast nach "Freiluftkalb" jener nach IP-SUISSE Label wirtschaftlich weitgehend ebenbürtig ist. Dies unter der Annahme, dass Landwirte, die nach "Freiluftkalb" vorgehen, genau wie andere IP-SUISSE-Betriebe die sog. RAUS-Direktzahlungen (bzw. eine äquivalente Unterstützung) erhalten. Die Landwirte sollen bezugsberechtigt sein, da deren Tiere nach einem festgelegten Standard unter verbesserten Bedingungen bezüglich Tierwohl und Gesundheit gemästet werden. Das ist allerdings momentan nicht der Fall.

Das "Freiluftkalb"-Konzept stösst aufgrund der sehr guten Studienresultate auf grosses Interesse in der Praxis. Unter anderem ist im Schweizerischen Parlament eine Motion hängig, die fordert, dass das Konzept unterstützt wird, weil damit sowohl die Tiergesundheit und das Tierwohl verbessert wie der Antibiotikaeinsatz reduziert werden können.

Stand: Februar 2022