Symposium "One Health meets Sequencing"
Ein Rück- und Überblick zu den wichtigsten Fragen, die am 21. Mai diskutiert wurden. Von den Organisatoren Adrian Egli, Jaques Schrenzel und Roger Stephan.
Eine Revolution hat in den letzten Jahren in der Mikrobiologie stattgefunden: Die neuen Technologien des Whole Genome Sequencing (WGS) ermöglichen uns, sehr schnell das gesamte Genom von Mikroben – nicht zuletzt jenes von Krankheitserregern – zu entschlüsseln. So können wir die genetischen Daten aller Bakterien, Pilze und Viren analysieren. Das bringt nicht nur die Forschung voran, es eröffnet auch für die Praxis ganz neue Möglichkeiten. Dank WGS erkennen wir die Übertragungsmuster von Mikroben, die genetisch kodierten Antibiotikaresistenzmechanismen und Virulenzfaktoren, wie z.B. Toxingene, in bisher unerreicht hoher Auflösung in diversen Proben: aus Patientinnen und Patienten ebenso wie aus Tieren, Lebensmitteln und der Umwelt. Führen wir entsprechende Daten zusammen und vergleichen diese, so sind wir in der Lage, bei Krankheitsausbrüchen bestimmte Erreger und Resistenzen über die gesamte Verbreitungskette hinweg zu verfolgen.
Anwendung für die öffentliche Gesundheit
Die neuen Methoden mit der dazugehörenden bioinformatischen Auswertung sind innerhalb der Wissenschaft bereits zum Goldstandard avanciert. Doch mit Blick auf die Praxis stellen sich diverse Fragen: Rechtliche, ethische, wirtschaftliche – und nicht zuletzt danach, wie genau WGS einen wirklichen Gewinn für die öffentliche Gesundheit bringen kann.
Um solch wichtige Fragen zu diskutieren, fanden am 21. Mai über 90 Fachleute aus Forschung, Praxis und Verwaltung zum Symposium "One Health meets Sequencing" im KKL Luzern zusammen. Die hochkarätige Besetzung sowohl der Referentinnen und Referenten wie des Publikums belegt, dass dieser Austausch enorm wichtig ist. Denn, wie in der abschliessenden Diskussion gesagt wurde: WGS wird sich für Ausbruchuntersuchungen und die Überwachung etablieren, doch wann und wie – und wieviel wir damit im Sinne der öffentlichen Gesundheit gewinnen –, hängt von vielen Faktoren ab, welche es gezielt anzugehen gilt.
Kapazitäten aufbauen und rechtliche Fragen klären
Sicherlich stimmt auch, was Vertreterinnen und Vertreter der Bundesämter mehrfach betonten: Die Forschung eilt voran, während der gesetzliche Rahmen und die Routinediagnostik kaum Schritt halten können. Doch eine wichtige Erkenntnis aus dem Symposium ist auch, dass sich verschiedene Stellen bereits stark mit WGS befassen und teilweise schon konkrete Pläne zur Etablierung und Standardisierung bestehen.
Ebenfalls zeigten sich die wichtigsten Herausforderungen deutlich. Diese fassen wir aufgrund der Ausführungen und Diskussionen am Symposium ganz kurz zusammen:
Capacity Building seitens der Labors
Derzeit verfügen fast ausschliesslich Laboratorien von Universitätsspitälern und grösseren Forschungseinrichtungen über die Infrastruktur, Expertise und genügend Fachleute, um WGS im grösseren Massstab durchzuführen und Daten aufzubereiten. Doch eine funktionierende Überwachung beispielsweise von multi-resistenten Keimen bei Mensch, Tier, Lebensmitteln und Umwelt ist auf eine grossflächige technologische Abdeckung angewiesen. Kleinere Institutionen haben nicht die notwendigen Kapazitäten. Der Bund fokussiert sich aktuell auf Referenzlabors, wobei die meisten Referenzlaboratorien für WGS Analysen mit universitären Zentren zusammenarbeiten. In der Zukunft ist absehbar, dass WGS Daten auch in kleineren Laboratorien generiert werden und dass eine strukturierte Archivierung und Analyse der Daten immer wichtiger wird.
Meldewesen in der Schweiz über alle Bereiche hinweg
Für die Überwachung von Mikroben im Kontext von "One Health" müssen viele unterschiedliche Akteure zusammenarbeiten, insbesondere diverse Bundesämter, kantonale Stellen und diagnostische Laboratorien. Doch die Organisation der Ämter ist nicht im Sinne einer "One Health" Logik organisiert. Die ämterübergreifende Gruppe "One Health" des Bundes wird hier sicherlich wichtige Funktionen übernehmen. Damit der Austausch von Informationen gelingt, muss aber auch eine Standardisierung im WGS Prozess in allen Bereichen erfolgen. Der Ablauf von der Erfassung der Probe über die Analyse bis zur Interpretation würde stark von einem zentralen Datenmanagement profitieren.
Internationaler Austausch
In der bisherigen internationalen Überwachung von Antibiotikaresistenzen ist die Schweiz ein "weisser Fleck", da die Daten nicht mit anderen europäischen Zentren verknüpft werden. Beim Aufbau einer neuartigen Überwachung ist jedoch der Anschluss an internationale Datenbanken wichtig. Im Veterinärbereich ist dies auf Bundesebense bereits geplant, im humanmedizinischen Bereich hängt es leider von Faktoren ab, die ausserhalb der Reichweite einzelner Stellen liegen, namentlich von den Rahmenverträgen mit der EU. Nicht zuletzt sind hier auch rechtliche Fragen zur Verwendung der Daten zu beachten.
Rechtliche Grundlagen
Überwachung erfordert einen klaren Auftrag. Dieser leitet sich aus dem Epidemiengesetz ab. Je nach Einschätzung der Reichweite können jedoch Kantone oder Bund zuständig sein. Die Klärung dieser Frage wirkt sich entscheidend darauf aus, wie Daten zu hypervirulenten und multiresistenten Keimen schweizweit ausgetauscht werden können. Hierbei stellen sich rechtliche Fragen, denn eine gute Überwachung verknüpft WGS-Daten mit (verschlüsselten) Patientendaten. Wenn diese jedoch komplett anonymisiert werden, dann lassen sich Übertragungsketten nicht mehr bis auf einzelne Menschen rekonstruieren. So ginge bei einem nationalen Ausbruch mit einem hochgefährlichen Erreger wertvolle Zeit verloren. Hier könnte das Epidemiengesetz eine wichtige Grundlage für den Austausch von Daten liefern, doch seine Anwendung bei der Überwachung von Mikroben ist noch unklar. Zwar ermöglicht derzeit bereits das Humanforschungsgesetz, mit der Einwilligung von Patientinnen und Patienten Daten für wissenschaftlichen Fragestellungen zu untersuchen, doch für die konstante Überwachung ist ein weitergehender gesetzlicher Auftrag notwendig.
Klare Prioritäten
Nicht alles was machbar ist, ist auch sinnvoll im Sinne von Public Health. Aus Sicht der Behörden sind klare Prioritäten nötig, inklusive einer Kosten-Nutzen-Rechnung. Da der Aufbau und die Einführung eines neuen Systems anfänglich zusätzliche Ressourcen benötigt, sollte klar identifiziert werden, wo sich WGS am meisten lohnt. Hierzu fehlt allerdings die Datengrundlage. Aus unserer Sicht ist die Einschränkung einer neuen Technologie für spezielle Fälle jedoch nicht zielführend. Denn das Potential von WGS liegt nicht zuletzt darin, über die Bestätigung von ohnehin verdächtigen Proben hinaus z.B. auch neuartige Resistenzen in der konstanten Überwachung entdecken zu können. Hier ist wiederum die Wissenschaft gefordert: Sie muss den möglichen mittel- und langfristigen Nutzen von WGS mittels innovativer Studien aufzuzeigen.
Der Austausch muss stattfinden – jetzt!
Es zeigt sich deutlich, dass die hier umrissenen Themen eng zusammenhängen. So sind Fragen des Datenschutzes ebenso ausschlaggebend für die Organisation des Meldewesens in der Schweiz wie für den internationalen Austausch. Die Klärung der Zuständigkeiten von Bund und Kantonen wirkt sich darauf aus, wie die Überwachung organisiert – und finanziert – ist. Und dass sich die Wissenschaft auf einheitliche Datenformate einigt ist eine Voraussetzung für die bereichsübergreifende Auswertung in einem "One Health"-Ansatz.
Umso wichtiger ist es deshalb, dass alle beteiligten Akteure den Einsatz von WGS in der Praxis gemeinsam und frühzeitig diskutieren. Das bestätigt die wohl häufigste Rückmeldung, die wir nach dem Symposium erhalten haben: Genau diese Diskussionen braucht es jetzt, da müssen wir dranbleiben. Das tun wir.
Adrian Egli, Jaques Schrenzel, Roger Stephan